Mehr als ein Sommerhit
„Bella ciao“ und weiter:
Welche Rolle historische Arbeiter- und Widerstandslieder heute noch spielen
von Joachim Göres
Bremen/Celle. […]
„Männer trauen sich meist nur, unter der Dusche zu singen“, bestätigt Sigrun Knoche. Sie ist Teil des Duos Cuppatea aus Münster, das häufig auf Demonstrationen oder Veranstaltungen von Gewerkschaften und Initiativen mit Arbeiterliedern auftritt. An vergangenen Wochenende leitete das Duo die Tagung „Lieder der deutschen Arbeiterbewegung in unseren Seminaren“ in der Heimvolkshochschule Hustedt in Celle. Dort wurden
Lieder wie „Bella Ciao“, die „Moorsoldaten“ oder „Die Arbeiter von Wien“ gesungen, und es wurde besprochen, wie diese Songs in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit eingesetzt werden können. „Wenn etwas länger als vier Zeilen ist, wird es schwierig mit der Textsicherheit. Wir projizieren bei unseren Konzerten die Texte per Beamer an die Wand, damit alle mitsingen können“, sagt Knoche und ergänzt: „Es sind vor allem die Über-60-Jährigen und die Unter-30-Jährigen, die wir mit dieser Musik erreichen.“
Aktueller politischer Bezug
Immer wieder ist in Seminaren Thema, ob die alten Lieder denn heute noch passen – viele Wörter klängen sperrig und altmodisch. „Wir werden oft nach neuen Titeln gefragt, und wir schreiben ja auch neue Texte mit aktuellem politischen Bezug. Doch je mehr man sich mit den alten Liedern beschäftigt, umso mehr merkt man, dass die grundlegenden Probleme wie der Gegensatz von Kapital und Arbeit nach wie vor existieren“, sagt Knoche.
Anja Weber, DGB-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen, warnt vor Missverständnissen. Das bei Gewerkschaftskongressen häufig gesungene Lied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, das die „heilige letzte Schlacht“ gegen die Sklaverei der Arbeiter propagiert, müsse im historischen Kontext verstanden werden – die heutige Lage von Lohnabhängigen sei eine andere.
„Vieles vom Alten stimmt nicht mehr, und das Neue ist noch nicht ganz da. Deshalb brauchen wir neue Lieder, die uns durch diese verunsichernde Zeit begleiten, die Zusammenhalt, Gemeinschaft und Hoffnung schaffen“, sagte Weber in einem Vortrag auf den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, die in diesem Jahr das Arbeiterlied besonders würdigten.
Seit 2014 ist „Das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung“ von der Unesco als immaterielles Kulturerbe in Deutschland anerkannt, seitdem gibt es immer mehr Veranstaltungen zu diesem Thema. Das Arbeiterlied stand in diesem Jahr auch auf dem größten deutschen Folkfestival im thüringischen Rudolstadt im Mittelpunkt. Sigrun Knoche freut sich über die Renaissance von „Bella Ciao“, auch wenn ihr die moderne Techno-Fassung nicht gefällt.
Zumindest in Italien, wo man den antifaschistischen Text versteht, ist „Bella Ciao“ tatsächlich wieder eine politische Hymne. Sie wird derzeit häufig bei den Protesten gegen die Asylpolitik von Innenminister Matteo Salvini gesungen.
Den kompletten Artikel aus dem Weser-Kurier vom 28. August 2018, verfasst von Joachim Göres, finden Sie hier oder in der Online-Ausgabe.